19.09.2020 Wir fordern ein Eingreifen des Bundestages

Vor einem Jahr, am 19. September 2019 hatte der G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss) beschlossen, dass der vorgeburtliche Bluttest auf Trisomien demnächst von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt wird. Bezahlt wird er bis heute nicht – die Auseinandersetzungen halten an. Der Bundestag hat sich bislang – abgesehen von einer einzigen Orientierungsdebatte – der Verantwortung entzogen. Doch Verbände der Zivilgesellschaft fordern, dass der Bundestag Entscheidungen mit so gravierenden gesellschaftlichen Folgen nicht einfach außerparlamentarischen Gremien überlässt.

Der G-BA-Beschluss soll in Kraft treten, sobald eine Patienteninformation zu dem Bluttest vorliegt. Einen ersten Entwurf einer solchen Patienteninformation hatte das IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) Ende August zurückgezogen. Damit verschiebt sich der Zeitplan, mit einer Fertigstellung der Broschüre ist erst 2021 zu rechnen. Der Entwurf war in vielen Stellungnahmen massiv kritisiert worden. So war etwa deutlich geworden, dass der G-BA-Beschluss auf einer völlig lückenhaften Grundlage erfolgt ist. Bislang ist noch nicht einmal eine aussagekräftige Indikation festgelegt, in welchen Fällen die Kassen den Test bezahlen sollen. Zudem bleiben erhebliche rechtliche Widersprüche: So ist es in Deutschland verboten, Schwangeren das Geschlecht des Kindes in den ersten drei Monaten mitzuteilen, um die gezielte Abtreibung von Mädchen zu verhindern. Dass dieser Schutz im Falle einer Trisomie nicht gilt, kollidiert mit Artikel 3 des Grundgesetzes.

Am schriftlichen und mündlichen Stellungnahmeverfahren zur Versicherteninformation hatten sich zahlreiche Vereine und Einzelpersonen beteiligt. „Wir sehen im gesamten Prozess der Kassenzulassung eine gravierende Abwertung und Diskriminierung von Menschen mit Behinderung. Bei diesem Thema wird immer um den heißen Brei herumgeredet. Kassenfinanzierung heißt nichts anderes, als dass die Solidargemeinschaft den Schwangeren vermittelt, dass die Abtreibung von Föten mit Trisomie ein normaler gesellschaftlicher Umgang mit Behinderung sei. Der erste Entwurf der Broschüre stützt diese Sicht.“, so Tina Sander, die für den Verein mittendrin e.V. an der Anhörung teilnahm.

Bereits im Vorfeld der Anhörung gab es Unmut, da die Tagesordnung fast nur medizinisch-technische Fragestellungen aufführte, der grundsätzlichen Kritik aber kaum Platz einräumte. Trotzdem gelang es den Anwesenden, hier einen Schwerpunkt in der Diskussion zu setzen: Inwieweit verstärkt eine solche Broschüre diffuse Ängste von Schwangeren? Welche impliziten Botschaften zum Thema Behinderung vermittelt sie? Decken sich diese überhaupt mit Erfahrungen von betroffenen Familien? Welche schädlichen Auswirkungen kann ein so einfach und harmlos daherkommendes Verfahren wie der Bluttest haben, wenn er auf eine völlig unzureichende Beratungsstruktur und -qualität trifft?

Die inhaltliche Kritik wurde beim IQWiG ernst genommen. Klaus Koch, in dessen Ressort die Erstellung der Versicherteninformation fällt, kündigte an, dass der vorliegende Entwurf überarbeitet würde. Daneben wünsche auch er sich, dass der G-BA die Wirkung der Broschüre im Hinblick auf die genannten Fragen wissenschaftlich messen – und sie bei Bedarf erneut überarbeitet würde.

Das reicht den Kritiker:innen nicht aus. Sie fordern das Parlament dazu auf, sich bei dem Thema nicht länger wegzuducken. Denn nicht nur, dass weitere pränatale Tests bereits heute möglich sind, z.B. auf Mukoviszidose, die noch nicht Kassenleistung sind. Es sind auch viele andere Tests in der Entwicklung und drängen auf den Markt. Unter welchen Voraussetzungen in Deutschland eine vorgeburtliche Diagnostik von Behinderungen stattfinden soll, ist eine politische Frage – und die muss im Bundestag entschieden werden.

Unterzeichner:innen:

Ute Berger

BioSkop

„BM 3×21“ – Down-Syndrom-Elterninitiative für den Raum Bergheim / Kerpen / Pulheim

die Inklusiven e.V. Bielefeld / OWL

downsyndromberlin e.V.

Gen-ethisches Netzwerk e.V.

inclution.org

Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. – ISL

Bettina Krück

mittendrin e.V.

Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik, Sprecherin Silke Koppermann

Hinweis:

Dieser Beitrag wurde nach einem Faktencheck am 27.09.2020 korrigiert: NIPT auf Mukoviszidose sind in Deutschland bereits zugelassen. Die ISL wurde als weitere Unterzeichnerin ergänzt.

Imagebild von freestocks.org von Pexels